An das Leben Lady Dis sind unzählige Erinnerung geknüpft: die beinahe acht Meter lange Schleppe ihres Kleids bei ihrer Hochzeit mit Prinz Charles, ihr Gesicht hinter einem Schutzvisier bei ihrem Einsatz gegen Landminen, das zusammengequetschte Auto ihrer Todesfahrt in Paris, Elton John, wie er bei der Trauerfeier in der Westminster Abbey Goodbye, England’s Rose singt. Keine Erinnerung an die Princess of Wales zu haben, ist schier unmöglich; zumindest für all jene, die bereits auf der Welt waren, als Diana Spencer lebte und wirkte. So omnipräsent war sie. So sehr wurde sie von der Öffentlichkeit vergöttert. Von Teilen der Medien verdammt. Der britische Regisseur Ed Perkins war elf Jahre jung, als Lady Di starb. Nun hat er den ersten Kinodokumentarfilm über sie gedreht.
Der Auftakt ist ungewöhnlich, fast schon irreal. Verwackelte Bilder zeigen das Hôtel Ritz in Paris. Aus dem Off sind Touristen zu hören, die in dieser unruhigen Nacht ihre Autofahrt durch die Stadt der Liebe mit der Videokamera festhalten. Von der Ansammlung vor dem Ritz angezogen, machen auch die filmenden Urlauber dort halt. Als sie gewahr werden, weshalb sich all die Fotografen auf die Füße treten, kommentiert einer die Situation: „Chasing Lady Diana …“ Wie recht er damit behalten sollte.
Vom Homevideo aus Dianas Todesnacht geht der Film nahtlos zu den Ursprüngen dieser beispiellosen Medienhatz über. Schon als Teenager wird Diana Frances Spencer, geboren am 1. Juli 1961, von der Regenbogenpresse bedrängt. Als sich die Gerüchte über eine mögliche Ehe mit dem britischen Thronfolger Prinz Charles verfestigen, hat sie keine Ruhe mehr. Es sind die tausendfach gezeigten Bilder von Diana, die auf dem Weg zu ihrer Arbeit als Erzieherin von ihrer Wohnung zu ihrem Wagen zu gelangen versucht und dabei unzählige Fragen der wartenden Journaille abwehrt, die Perkins uns hier präsentiert. Das Motiv der Gejagten zieht sich wie ein narrativer roter Faden durch seinen Film. (Funfact am Rande: Charles und Diana lernten sich ausgerechnet bei einer Jagdgesellschaft kennen.) Ebenso ungewöhnlich wie der Auftakt geht es auch formal weiter.
Perkins hat sich gegen die geläufigste Dokumentarfilmform entschieden. Klassische Interviewsituationen sucht man bei ihm ebenso vergebens wie den üblichen Overkill an Weggefährten und Experten. The Princess besteht ausschließlich aus Archivmaterial und Kommentaren aus jener Zeit, die – ohne das die Sprechenden zu erkennen sind – über den meisterhaft montierten Bilderfluss gelegt werden. Zudem spannt Perkins nicht den großen, das gesamte Leben abdeckenden Bogen, sondern beschränkt sich auf den Zeitraum von Dianas ersten Auftritten in der Öffentlichkeit bis zu ihrem Tod.
Form und Inhalt erinnern an einen anderen Meister seines Fachs. Wer Perkins‘ The Princess sieht, muss unweigerlich an die Dokumentarfilme Asif Kapadias denken. In Senna (2010), Amy (2015) und Diego Maradona (2019) nahm Perkins‘ Landsmann zwei medienpräsente Sportidole und eine Musikikone auf beinahe identische Weise in den Blick. An Kapadias Klasse reicht Perkins‘ Film jedoch nicht ganz heran. Es fehlen allerdings nur Zentimeter.
Denn auch Perkins macht mehr, als einfach nur das Ausgangsmaterial klug zu sortieren und geschickt zu montieren. Der Filmschnitt, für den Jinx Godfrey und Daniel Lapira verantwortlich zeichnen, ist auch immer Kommentar. Der Traumhochzeit stellt Perkins Bilder der Rezession gegenüber, die seinerzeit im Vereinigten Königreich grassierte. Als im Radio die Nachricht von Dianas erster Schwangerschaft verkündet wird, sind die Supermarktregale leer. Pracht und Prunk auf der einen, die gesellschaftlichen Umstände, von denen all das ablenken soll, auf der anderen Seite.
Wie zwei Seiten einer Medaille gerät auch der Blick auf Diana, ihre Ehe, das Königshaus und die Monarchie. Je nachdem, wer in Perkins Film aus dem Off gerade zu Wort kommt, fällt das Urteil völlig unterschiedlich aus. Von den einen wird Diana als nahbar vergöttert, von den anderen als vulgär verdammt. Bei Charles, seiner Mutter und der Monarchie an sich sieht es nicht viel anders aus. In der Rückschau ergibt sich daraus vor allem eine erschreckende Gesamtschau der ohnehin schon erschreckenden Auswüchse in der britischen Boulevardpresse. Und der Blick auf eine zutiefst schizophrene Nation, die ihre Royals lieber heute als morgen loswerden möchte, aber auch nicht ohne ihre Royals kann.
Zwischen all den Schlagzeilen gelingt es Perkins dennoch, seiner Protagonistin nahezukommen: einer Frau, die sich viel zu jung mit einem deutlich älteren Mann, der sie nicht heiraten wollte, aber seiner royalen Pflicht nachkam, in eine zum Scheitern verurteilte Ehe begab; die von der Öffentlichkeit unbemerkt litt und im Licht der Öffentlichkeit an ihren Aufgaben wuchs, bis sie ihrem Mann schließlich die Schau stahl; und die laut einem Kommentator im Film nach ihrer Scheidung noch 20, 30, 40 gute Jahre an Wohltätigkeitsarbeit vor sich habe. Das Kinopublikum weiß, dass es anders kam.
Es ist einer der vielen tragischen Kommentare zu einem Leben, das die Öffentlichkeit bis heute fasziniert. Auch die Touristen vom Filmbeginn wird Dianas Schicksal noch einmal beschäftigen. Anfangs noch zu Scherzen aufgelegt, vergeht ihnen das Lachen, als die Nachricht vom Tod der Prinzessin bestätigt wird. Auch diesen Moment – im Hotelzimmer beim Kartenspiel – haben sie mit ihrer Videokamera festgehalten. Eine gleichermaßen banale und bewegende Situation.
Ed Perkins, der für seinen Kurzdokumentarfilm Black Sheep (2018) für einen Oscar nominiert war, legt mit The Princess einen atemlosen Dokumentarfilm vor. Der Bilder- und Redefluss reißt nie ab und reißt einen förmlich mit. Ein immersives audiovisuelles Ereignis, wie es für einen Dokumentarfilm selten ist. Unbedingt sehens-, hörens- und erlebenswert!